Seit dem Schuljahr 2015/2016 beschäftigen wir uns innerhalb der Arbeitsgemeinschaften „Auschwitz“ und „Stolpersteine“ mit der Thematik der Judenverfolgung während des Holocaust. Nach intensiver Vorbereitung haben wir uns dazu entschlossen, eine Studienfahrt zu dem wohl bekanntesten Ort des Massenmordes an den Juden – Oswiecim, besser bekannt als Auschwitz, in Polen – zu machen. Diese Fahrt wurde finanziell von der Behte-Stiftung und die IBB gGmbH unterstützt, wofür wir uns herzlich bedanken möchten.
Dazu haben wir uns mit insgesamt 36 Schülerinnen, Schülern und Lehrpersonen der Realschule Plus und unseres Gymnasiums Birkenfeld am Sonntag, den 11.09.2016 zur Abfahrt um 17 Uhr am Birkenfelder Busparkplatz getroffen. Da wir eine lange Strecke mit dem Bus zurücklegen mussten und das Programm direkt am nächsten Vormittag starten sollte, galt es, über Nacht möglichst viel Schlaf im Bus zu bekommen.
Nach 14-stündiger Fahrt mit Pausen kamen wir in unserer Unterkunft, der Internationalen Jugendbegegnungsstätte, welche ca. 2km von dem Stammlager Auschwitz entfernt liegt, an. Diese wurde 1986 als ein Begegnungsort für Jugendliche verschiedener Nationen errichtet. Dort wird es ermöglicht, vor dem historischen Hintergrund gemeinsam zu lernen, nachzudenken und die tragische Vergangenheit des Ortes zu erfassen.
Da wir nach der Ankunft noch nicht direkt unsere Zimmer beziehen konnten, durften wir eigenständig erste Eindrücke von der relativ kleinen Stadt sammeln. Uns ist aufgefallen, dass Oswiecim auf den ersten Blick wie eine ganz normale Stadt aussieht: einfache kleine Häuser, ein Einkaufscenter und ein schöner kleiner Fluss, die Sola. Dieses Bild änderte sich allerdings schnell, als ein Angestellter der Jugendbegegnungsstätte uns am Nachmittag durch die Stadt führte und uns viel über die jüdische Geschichte der Stadt erzählte. Diese wurde vor dem Holocaust zeitweise sogar hauptsächlich von Juden bewohnt. Das Stammlager ist später aus einer ehemaligen polnischen Kaserne etwas abseits des Stadtkerns entstanden.
Nach der Stadtführung haben wir die Synagoge in Auschwitz sowie das anliegende jüdische Zentrum besucht, welches den Besuchern einen Einblick in das jüdische Leben in Auschwitz vor und während des Holocaust vermittelt.
Anschließend gab es in der Begegnungsstätte ein gemeinsames Abendessen sowie eine Gesprächsrunde, bei der wir unsere ersten Eindrücke und Gefühle austauschen konnten.
Am nächsten Tag sind wir direkt nach dem Frühstück in das Konzentrationslager Auschwitz I Stammlager gefahren. Wenn man über die tragische Geschichte dieses Ortes hinweg sieht, könnte man die Lage, so absurd es klingen mag, sogar als idyllisch beschreiben.
Begonnen hat unsere Führung unter dem Haupttor mit der bekannten zynischen Aufschrift „Arbeit macht frei“. Bedrückend war der Gedanke, dass zwischen 1940 und 1945 täglich tausende Gefangene mit ständiger Ungewissheit, wie es für sie weitergeht, dieses Tor passieren mussten.
Weiter ging es vorbei an der Lagerküche zu den vielen Häuserblöcken, die heute zu verschiedenen Ausstellungen umgebaut wurden. In jeder dieser ehemaligen Häftlingsunterkünfte konnte man Bilder, Videos, Texte und aufgenommene Stimmen erleben. Außerdem wurden auch Gegenstände, wie Häftlingsanzüge, entwendete Wertgegenstände und unfassbare Mengen an Haaren ausgestellt. Zudem konnte man auch leere Dosen des sogenannten „Schädlingsbekämpfungsmittels“ Zyklon B sehen, mit denen Millionen von Juden und andere Menschengruppen in den Gaskammern getötet wurden. Durch all diese Dinge kam uns die grausame Geschichte plötzlich unfassbar nah. Hinter allem haben nun Gesichter, Namen und Stimmen gesteckt. Aus dieser unbegreiflich großen Zahl der Opfer, von der man bisher immer gehört hat, wurden jetzt Menschen, jeder einzelne mit einer eigenen Geschichte, einem eigenen Schicksal. Diese Erkenntnis war für jeden von uns sehr bewegend und emotional.
Diese Gefühle der Trauer, der Fassungslosigkeit und auch der Wut wurden in der Shoah-Ausstellung in Block 27 gesteigert. Die Dauerausstellung hat gezielt unsere Wahrnehmung auf alle möglichen Weisen angesprochen. Direkt am Anfang waren beispielsweise in einem dunklen Raum Videos von jüdischen Familien vor der Zeit des Holocaust an die Wand projiziert, wie sie feierten, gemeinsamen musizierten, lachten, oder auch Kinder wie sie spielten. Im Hintergrund lief dazu bewegende Musik. Diese Menschen hatten zu dem Zeitpunkt noch keine Ahnung, was in naher Zukunft auf sie zukommen würde. Besonders bewegend waren diese Eindrücke, da man sehen konnte, dass diese Menschen ganz normal waren, dass sie glücklich gelebt haben und sie sich in keinster Weise von uns unterscheiden. Umso fassungsloser waren wir über die Begründung, mit welcher die Nazis, insbesondere die SS, den Massenmord an der für sie „minderwertigen Rasse“ rechtfertigten. Originale Tonaufnahmen der Propaganda und Ansprachen von bedeutenden Führungspositionen konnte man in einem weiteren Raum hören. Besonders berührten uns Bilder, die Kinder in oder nach der Gefangenschaft gemalt haben und welche von einer Künstlerin an die Wände dieser Ausstellung übertragen wurden. Die Tatsache, dass sich die Kinder mit Situationen von Leid, Tod und Verlust auseinander setzen mussten und diese auch sehr deutlich wahrgenommen haben, war herzzerreißend. Am Ende der Shoah-Ausstellung stand in einem Raum ein riesiges Buch, in dem über Millionen von Namen von Holocaust Opfern mit Geburtsdaten und Wohnorten zu lesen waren. Dies hat uns ebenfalls nochmal verdeutlicht, wie viele Menschen wirklich hinter dieser riesigen Zahl stecken, die immer im Bezug auf den Holocaust genannt wird.
Auch Block 10 und 11, die damals als medizinische Versuchsbaracke und Todesbaracke dienten, riefen viele Gefühle hervor. Als besonders schlimm empfanden wir den Anblick der Todeswand zwischen diesen Baracken, an welcher tausende Häftlinge erschossen wurden.
Das Ende dieser Führung bildete die Gaskammer mit dem Krematorium I. Die Vorstellung, dass dort tausende unschuldiger Opfer ermordet wurden, war sehr bedrückend und es war unbegreiflich, wie Menschen zu so etwas Grausamen fähig waren.
Nach dem Mittagessen stand es uns frei, selbstständig noch einmal durch die Ausstellungen, insbesondere die Länderausstellungen zu gehen. Hier erzählen viele betroffene Länder ihre individuelle Geschichte des Holocaust auf verschiedene Weise.
Ebenfalls durften wir im Archiv der Gedenkstätte nach Informationen suchen, die uns für unsere angestrebte Stolpersteinverlegung hilfreich sind. Einige von uns wurden dort fündig und stießen auf Namen von Juden, die ehemals in Hoppstädten-Weiersbach lebten.
Im Anschluss an diesen emotionalen Tag folgte ebenfalls nochmal eine Gesprächsrunde, die für viele sehr wichtig war. Im Laufe des Tages haben wir so viele Eindrücke gesammelt und jeder verarbeitet ein solches Erlebnis anders, aber mit anderen über die Gefühle und Gedanken zu sprechen und zu sehen, dass es anderen ähnlich geht, hat bei der Verarbeitung des Tages geholfen und einem eine schwere Last von den Schultern genommen.
Mittwochs fuhren wir morgens in das etwas außerhalb gelegene Konzentrationslager Auschwitz II Birkenau. Schon von weitem konnte man das bekannte Eingangstor sehen, durch das die Züge mit den Juden und anderen Gefangenen in das Lager bis zur berüchtigten „Rampe“ fuhren. Zunächst sind wir in einen Aussichtsturm oberhalb dieses Tores gegangen. Von oben hat das Lager undenkbare Dimensionen. Die meisten der Baracken und Gebäude wurden einige Tage vor der Befreiung durch die Rote Armee von der SS als Beweisvernichtung zerstört, so dass ganz Birkenau wie ein Trümmerfeld aussieht. Einige Baracken sind jedoch stehen geblieben bzw. wurden detailgetreu nachgebaut. Diese haben wir uns dann auch von innen angeschaut, um ein Bild von den unwürdigen Lebensbedingungen der Gefangen zu bekommen. In den ehemaligen Pferdeställen, die Platz für etwa 50 Pferde boten mussten bis zu 800 Häftlinge ohne wirklichen Schutz vor der Kälte und Hitze im Sommer leben. Baracken mit sanitären Einrichtung gab es zwar, allerdings für die enorme Anzahl an Häftlingen viel zu wenige und in unhygienischen Zuständen, wodurch viele Krankheiten verbreitet wurden.
Die maximale Anzahl der Gefangenen, die zum selben Zeitpunkt im Konzentrationslager Auschwitz II Birkenau untergebracht waren, liegt bei etwa 90.000. Eine unglaublich große Zahl, wenn man bedenkt, auf wie wenig Platz all diese Menschen um ihr Überleben kämpften, und die meisten von ihnen diesen Kampf auch verloren. Wer nicht durch Hunger, Durst oder die Kälte starb, arbeitete sich zu Tode oder wurde früher oder später durch die SS ermordet. Nur ca. 1.200 Menschen von über 1.100.000, die ihr Leben in Auschwitz ließen, konnten 1945 befreit werden.
Besonders bedrückend war auch der Gang durch die sogenannte Kinderbaracke. Die meisten Kinder wurden direkt nach ihrer Ankunft an der Rampe in die Gaskammern selektiert, doch aus einem nicht bekannten Grund wurden dort hunderte von Kindern im Alter von 2-14 Jahre zusammen eingepfercht, ohne Eltern und ohne zu wissen, was vor sich geht. Weiter ging unsere Führung zu der Rampe, an der die Viehwaggons voll mit entkräfteten Häftlingen ankamen. Dort wurden sie durch SS-Männer selektiert und mussten all ihren mitgenommenen Besitz abgeben, darunter viele Bilder und Erinnerungsstücke. Von dort aus ging ihr Weg entweder in die Baracken oder direkt in die Gaskammern. Den Weg zu dem Krematorium II sind wir anschließend gegangen. Alle vier Gaskammern und Krematorien, die es in Birkenau gab, wurden zerstört, nur noch die Ruinen sind zu sehen. Trotzdem waren wir alle schockiert und sprachlos, als wir genau dort standen, wo unzählige Menschen umgekommen sind. Ein großes Denkmal zwischen Krematorium II und III zählt alle betroffenen Nationen oder Menschengruppen auf und zollt den Verstorbenen aber auch den Verbliebenen den gebührenden Respekt.
Ebenfalls sind nur noch die Umrisse des sogenannten Kanada-Komplexes zu sehen, in dem alle entwendeten Wertgegenstände gehortet wurden. Nebenan befindet sich die „Sauna“, welche zur Reinigung der angekommenen Menschen diente, um Infektionskrankheiten zu vermeiden. Dort wurden auch die gestreiften Häftlingsanzüge gewaschen. In diesem Gebäude sind tausende von Bildern ausgestellt, welche den Gefangenen nach ihrer Ankunft abgenommen wurden. Auf den Bildern sieht man noch einmal, dass es ganz normale Menschen waren, die vollkommen grundlos als niedere Rasse abgestempelt wurden. Neben der Sauna befanden sich zwei weitere Krematorien, in einem kleinen Waldstück. In einen Weiher, an welchem wir vorbei gegangen sind, wurde die Asche der verbrannten Leichen geschüttet. Oft wurde sie aber auch als Düngemittel für landwirtschaftliche Zwecke genutzt und verkauft. Es fühlte sich für uns alle an, als würde der Boden, auf dem wir gingen, aus den menschlichen Überresten bestehen, ein schreckliches Gefühl.
Von dort aus sind wir wieder zurück zum Eingang gegangen. Der Weg hat sich sehr lang gezogen, was uns diese riesigen Dimensionen des Schreckens verdeutlicht hat.
Mit einem betretenen Schweigen und vielen Gedanken, die in unseren Köpfen schwirrten, sind wir zurück zur Herberge gefahren, um zu Mittag zu essen. Wie auch schon am Tag zuvor war es eine sehr bedrückende Stimmung während des Essens und es war bemerkbar, wie sehr das alles jeden von uns berührt hat.
Nach dem Essen sind wir erneut in das Stammlager gefahren, in dem uns eine Frau eine Präsentation über ausgesuchte SS-Mitglieder und deren Geschichten vorgestellt hat. Dies war unserer Meinung nach ein sehr wichtiger Programmpunkt, da man erfahren hat, dass hinter diesen vermeintlichen „Monstern“ teilweise auch nur Menschen steckten, die es nicht von Anfang an geschafft haben, sich gegen die Autorität ihrer Vorgesetzten zu wehren. Viele von ihnen hatten Familien mit Kindern und lebten so zwei verschiedene Leben, was für viele von uns schwer vorstellbar war. Aber es gab auch einige wenige Lichtblicke in den Taten der SS, z.B. heimliche Geliebte unter den Gefangenen, Hilfestellungen bei Fluchtversuchen oder auch Spitzel für die Alliierten oder rebellischen Untergrundgruppen.
Anschließend sind wir zurück zu unserer Unterkunft gegangen und haben abends noch den Film „Der Junge im gestreiften Pyjama“, angeschaut. Dieser Film hat die unmenschlichen Lebensbedingungen in Auschwitz für uns alle noch einmal verdeutlicht und den Ruinen auf eine sehr realistische Art Leben eingehaucht. Damit war ein weiterer Tag voller neuem Wissen, vieler Emotionen und Eindrücke zu Ende gegangen, welcher auch wieder mit einer gemeinsamen Runde abgeschlossen wurde.
Unseren letzten gemeinsamen Tag verbrachten wir in der nahegelegenen Stadt Krakau. Nachdem wir etwa eine Stunde mit dem Bus gefahren sind, wurden wir durch den jüdischen Stadtteil Krakaus „Kazimierz“ geführt. Dort konnten wir einige der sieben Synagogen sowie einen jüdischen Friedhof besichtigen und haben dort viele Informationen über das religiöse Leben der Juden erhalten. Im Anschluss daran durften wir den restlichen Nachmittag in Kleingruppen in der wunderschönen Stadt verbringen und haben uns gegen 17 Uhr auf den Rückweg nach Birkenfeld gemacht.
Um ca. 10 Uhr kamen wir am folgenden Tag am Busparkplatz an, wo wir von unseren Familien empfangen wurden. Damit war eine sehr lehrreiche und wichtige Zeit für uns zu Ende. Ich spreche sicherlich für die meisten unserer Gruppe, wenn ich sage, dass diese Fahrt in gewisser Hinsicht mein Leben verändert hat. Ich habe in Polen gemerkt, wie wichtig es ist, dass sich so eine schreckliche Zeit nie wiederholen darf, egal in welchem Maße. Vielen Dingen, die für uns in Deutschland nach unserem Lebensstandard nicht mehr wegzudenken sind, stehe ich nun anders gegenüber. Nachdem wir Einblicke in das Leben der Gefangenen erhalten haben, hat Familie und Heimat eine andere Bedeutung für mich bekommen. Ich werde versuchen, meine Eindrücke weiterzutragen und so vielen Menschen wie nur möglich deutlich zu machen, wie wichtig es ist, keine Menschengruppen in irgendeiner Weise auszugrenzen oder herabzustufen.